Eine Masterarbeit macht Krieg anschaulich

    Maksym Kolisnichenko, ukrainischer Master-Absolvent an der Hochschule für Gestaltung und Kunst FHNW, verwandelt Basel in ein Kriegsszenario. Seine fotorealistischen Bilder kombinieren Bildbearbeitung mit KI und bleiben nicht ohne Wirkung.

    Es ist unheimlich am Freilager-Platz in Basel. Bomben haben die obersten Stockwerke des Helsinki-Hauses weggesprengt. Der Campus, früher von Studierenden belebt, ist menschenleer. Ein Velo lehnt vergessen an einem Baum. Man erahnt die Kälte im Quartier, wo niemand mehr lebt.

    Das Helsinki-Gebäude, Bild: zVg

    KI-generiertes Bild vom Freilager-Platz in Basel. Man sieht das ausgebombte Helsinki-Gebäude, Bild: Maksym Kolisnichenko

    Dieses und weitere Fotos eines im Krieg zerstörten Basels sind Teil einer Masterarbeit im Studiengang Digital Communication Environments. Sie zeigt in echt wirkenden Bildern Auswirkungen eines fiktiven Angriffskriegs auf Basel. Realisiert wurde diese Arbeit vom 24-jährigen Ukrainer Maksym Kolisnichenko.

    Wer ist Maksym Kolisnichenko?

    Maksym schliesst in Kyjiw im Jahr 2021 einen technischen Bachelor im Ingenieur-Studiengang «Internet der Dinge» ab und will sich im Master in Richtung Gestaltung weiterentwickeln. Durch den Angriffskrieg 2022 ist dies in der Ukraine unmöglich. Er bestreitet 2022 das Aufnahmeverfahren im Master-Studiengang Digital Communication Environments an der Hochschule für Gestaltung und Kunst Basel.

    Maksym sitzt vor dem Helsinki-Gebäude und der HGK Basel. Dieses Bild ist nicht KI-generiert.

    Maksym Kolisnichenko, Bild: zVg

    Wie gestaltet man digitale Kommunikation? Wie können visuelle Botschaften aussehen? Welche neuartigen Techniken gibt es experimentell auszuloten und einzusetzen? Mit diesen Fragen setzen sich Studierende in diesem Master-Studiengang auseinander. Das interessiert Maksym brennend. Als er die Zusage erhält, «im Herkunftsland von Helvetica» studieren zu dürfen, geht ein grosser Traum in Erfüllung.

    «Krieg wünsche ich niemandem»

    Unmittelbar nach Ausbruch des russischen Angriffskrieges 2022 ist Maksym aber zunächst als ziviler Helfer hinter der Frontlinie. Es wird eine prägende Erfahrung. «Krieg wünsche ich niemandem», fasst Maksym die schwierigen Erlebnisse zusammen. Aber ganz unvertraut ist Krieg für ihn nicht. «Krieg war immer in meinem Leben präsent», sagt er, «nicht nur als Sohn eines Veteranen. In der Ukraine sind die Konflikte der Vergangenheit im kollektiven Bewusstsein und haben in den Ortschaften überall Zeichen hinterlassen.» Ganz anders erlebt Maksym nun die Schweiz, wo der jahrhundertalte Frieden überall sichtbar ist. «Es war eine andere Welt. In Basel entdeckte ich all diese schönen Bauten mit eingemeisseltem Baujahr. Sie gehen bis auf das Mittelalter zurück. Unglaublich!»

    Welche Bilder berühren?

    Krieg oder Frieden: Man könne sich die Lebensbedingungen nicht aussuchen, aber sicher ist: Es mache etwas mit einem. Krieg wirke gesellschaftlich trennend. «Für viele Menschen ausserhalb der Ukraine ist Frieden selbstverständlich, und Kriege sind weit weg.» Der Krieg in der Ukraine ist so reich mit Bildern dokumentiert wie kein Krieg davor. «Trotzdem vermögen diese Bilder wenig auszurichten. Sie erzeugen selten Mitgefühl, eher stossen sie auf Ablehnung, sicher weil sie den einen zu nahe gehen, aber auch aus Überdruss oder Gleichgültigkeit. Die Solidarität leidet darunter. Unterdessen ist und bleibt der Krieg jedoch brutale Realität.»

    Switzerland On Fire: Kriegsbilder gegen das Trennende

    In der Masterarbeit möchte Maksym mit digitalen Gestaltungsmitteln Krieg veranschaulichen und das Publikum berühren. Doch wie soll das gehen? Maksym setzt sich mit Techniken auseinander, tauscht sich mit Mentor*innen und Mitstudierenden auf. Das Projekt «Switzerland On Fire» entsteht: Der Krieg findet in der Schweiz statt. «Mein Ziel: Ich wollte Krieg auf plausible Art veranschaulichen, so dass sich alle hineinversetzen können und verstehen, was andere Menschen tagtäglich erleben.»

    Fotomontage einer Brücke in Basel mit Kriegsschäden

    Eine Brücke in Basel ist durch Kriegshandlungen beschädigt, Bild: Maksym Kolisnichenko

    «Mächtiges Mittel gegen die Abstumpfung»

    Die Masterarbeit ist eine fiktive Kriegserzählung. Der Inhalt: Der russische Feind ist via ein wehruntaugliches Deutschland einmarschiert und hat die reiche Schweiz im Sturm eingenommen.

    In der Thesis spielen Bilder eine wichtige Rolle. Maksym studiert auf Kriegsfotos aus der Ukraine akribisch die Spuren, die Bomben und Granaten hinterlassen. Um sie auf Basel zu übertragen, kommt KI ins Spiel. «Wie kann ich KI sinnvoll und verantwortungsvoll nutzen? Das war eine Frage, mit der wir uns im Studium immer wieder auseinandergesetzt haben.» Hier kommt er zunächst nicht voran. «Bei allem Fortschritt – KI-Programme generieren nicht automatisch Bilder einer Schweiz in Trümmern», erklärt Maksym. «Die Bilder wirkten cartoonhaft und völlig ‹fake›». Zudem folgen die meisten KI-Programme Ethik-Richtlinien und generieren keine fiktiven Kriegsfotos. Maksym geht innovative Wege, er integriert Techniken der Bildbearbeitung, der Bildmontage mit KI. Besonders nützlich sind Maksyms technische Programmiererfahrungen.

    Fotomontage der brennenden Roche-Tower in Basel

    Die Roche-Türme brennen nach einem Bombenangriff, Bild: Maksym Kolisnichenko

    «Maksym Kolisnichenko setzt nicht nur innovative technische Möglichkeiten ein, er entwickelt auch eine innovative Strategie der visuellen Kommunikation. Der Impact auf die Betrachtenden ist enorm», sagt Studiengangsleiter Michael Renner über diese Masterthesis. «Die fotorealistischen Bildern von Zerstörung in der Schweizer Stadtlandschaft lösen beim Betrachten einen Prozess aus. Man fragt sofort nach dem Grund der Zerstörung, und die Bilder führen zur entschiedenen Zurückweisung der russischen Aggression. Sie sind ein mächtiges Mittel gegen die Abstumpfung.»

    Kunst und Kommunikation – digital und analog

    Sich analog und digital künstlerisch ausdrücken, mit Technologie experimentieren, Design und Kunst kritisch reflektieren – das vermittelt das Studium in Digital Communication Environments an der HGK Basel.

    Informationen zum Studiengang